Wie Verrücktheit Menschen und Tiere unfruchtbar machen kann

 

Die Fotos und der Text stammen von August Rüggeberg und Sabina Rüggeberg aus München, Kursleitende beim Kurs Aufstellungsarbeit mit Tieren. Vielen Dank dafür!

 

Es war für alle, die dabei waren, eine sehr besondere Aufstellung,

  • weil - wie so oft - ein Tier, hier ein Pferd den Anstoss zur Offenlegung einer weit reichenden Familien-Tragödie gab,

  • und besonders, weil sich die Verrücktheit einer Urgrossmutter eindrucksvollerweise buchstäblich in der Unfruchtbarkeit von fünf Urenkeln, eines Pferdes und einer Katze ausdrückte.

Das Seminar mit Sabina (SR) und Dr. August Rüggeberg (AR) als Aufsteller fand im Juni 2007 statt, nahe bei Thun im Berner Oberland im Rahmen der Artemis-Schule für Mensch und Tier. Wir bedanken uns bei Christina und Verena Sigrist ganz herzlich für die Organisation und liebevolle Betreuung dieses Seminars!

 

Die Aufstellung

Regina (48) stellte ihre zierliche Quarter Horse Stute Sina (Namen geändert) vor, von der sie sich seit langem ein Fohlen wünschte. Sina war bereits 6 Mal beim Hengst, hatte auch immer aufgenommen, aber alle sechs Schwangerschaften waren fehlgeschlagen.

 

Regina berichtete auch sichtlich traurig von ihrer eigenen Kinderlosigkeit. Sie habe unter anderem 15 Jahre mit einem Mann zusammengelebt, der schon 3 Kinder hatte. So habe sie sich mit der Kinderlosigkeit abfinden müssen.

Auch ihr Bruder - obwohl verheiratet - ist ohne Nachwuchs geblieben, ebenso 2 Cousins.

Schliesslich hatte Regina sich gefreut, als ihre Katze trächtig wurde, musste dann aber zwei grausame Totgeburten erleben. Das dritte Kätzchen schliesslich starb in ihren Armen am Tag nach der Geburt.

Nach einer längeren Pause der stillen Achtung liess ich (AR) Regina eine Stellvertreterin für sich selbst und eine kundige Reiterin als Stellvertreterin des Pferdes wählen. Diese sollte Sina am Strick halten, aber Sinas Bewegungswünschen gegebenenfalls behutsam nachgeben.

So halten wir es regelmässig bei Aufstellungen mit Pferden, nachdem wir vor Jahren auch eine riskante Situation erlebt hatten, als ein Pferd, dem die Halterin zuvor absolute Bravheit bescheinigt hatte und dem wir völlige Bewegungsfreiheit zubilligten, durch die Aufstellungs-Dynamik bedrohlich in Emotionen und ins Rasen geriet.

Die sehr ruhige und freundliche Stute Sina stand allerdings während der gesamten 2-stündigen Aufstellung fast bewegungslos am selben Platz (auch ein Novum für uns), ab und zu stellte sie einen Hinterhuf auf zum Ausruhen. So stand sie mit halb gesenktem Kopf neben ihrer Stellvertreterin. Letztere schaute zu Boden und sagte, sie sei traurig.

Die Stellvertreterin von Regina schaute zunächst an Sina vorbei. Als ich sie zum Pferd sagen liess: "Dich anzuschauen, macht mich traurig", schaute auch sie zu Boden.

"Ja", meinte Regina selber, "es gab etwas Trauriges in der Familie: Die Schwester meines Grossvaters ist mit 2 Jahren verstorben, ich weiss nicht wie oder warum."

Wir legten diese früh verstorbene Grosstante zwischen Pferd und Halterin, und sie zog beider Blicke ganz und gar auf sich.

 

"Genau in diesem Augenblick ging gut sichtbar von vorne bis hinten ein Schauer durch das Pferd (es sah wie eine Welle aus). Dies war eine sehr prägnante Reaktion", schreibt Christina Sigrist (von Artemis) als nahe sitzende Beobachterin.

Ich (SR) sass zu dem Zeitpunkt genau hinter der Stute und sah von dieser nur die Hinterhand. Ich bemerkte zu meinem höchsten Erstaunen, wie die grossen Gesässmuskeln durch einen Krampf zusammengezogen wurden, der sich alsbald wieder auflöste. So eine Reaktion habe ich in meiner jahrzehntelangen Erfahrung als Reiterin noch nie erlebt.

 

Nun wurde der Grossvater (Bruder der früh verstorbenen Grosstante) dazugestellt. Er wirkte vergleichsweise unbeteiligter, fühlte sich aber auch nicht recht wohl.

Die verstorbene Grosstante entwickelte zunehmend Wut auf ihren Bruder und sagte schliesslich recht authentisch: "Du bist schuld."

 

Wir stellten noch Urgrossmutter und später Urgrossvater hinzu, denn dass der seinerzeit vielleicht vierjährige Grossvater verantwortlich für den Tod der Schwester sein sollte, konnte nicht recht überzeugen und wurde von ihm auch in keiner Weise bestätigt.    

 

Doch das brachte zunächst nicht mehr Klarheit, sondern nun wurde die Lage erst recht verworren:  

  • Die früh verstorbene Grosstante meinte immer noch, ihr etwas älterer Bruder trage einen Teil der Schuld, aber ihr Vater, also der Urgrossvater trage die Hauptschuld.

  • Der mitbeschuldigte Bruder meinte, er sei unschuldig, habe damit nichts zu tun, und die Hauptschuld läge bei seiner Mutter (der Urgrossmutter).

  • Der Urgrossvater war völlig versteift und ohne Reaktionen, die Urgrossmutter aber lehnte ihn heftig ab. Daraufhin wurde er probeweise vorübergehend vor die Türe der Reithalle gestellt.
  • Die Urgrossmutter zeigte in der Folge einen triebhaften, zunehmend geradezu zwanghaften Drang zur Besitzergreifung ihres Sohnes, also des Bruders der früh verstorbenen Grosstante. Dieser reagierte hierauf mit offensichtlicher Angst und Abwehr und suchte Abstand von seiner Mutter. Sie aber begehrte immer wieder inständig, ihrem Sohn ganz nahe zu sein.
"Mehrfach, wenn die Urgrossmutter prägnante Sätze sagte, hat das Pferd mit dem Schweif geschlagen", vermerkt unsere Beobachterin.

 

Nun wurde auch die Urgrossmutter versuchsweise nach draussen geschickt, was aber für keinen der Beteiligten eine Verbesserung ergab, und auch der Urgrossvater wollte doch lieber in der Aufstellungs-Reithalle als ausserhalb vor der Tür sein.

 

Kaum wieder in der Reithalle, zog es die Urgrossmutter wieder unwiderstehlich zum Sohn, und es war schwer, die Stellvertreterin der Urgrossmutter zu überreden, dass sie grösseren Abstand zu ihrem Sohn nehmen sollte. Diese obsessiv begehrende Besitzergreifung nahm dadurch sogar noch mehr zu, und sie wurde erst wieder etwas geringer, als wir schliesslich eine Stellvertreterin für ihre Verrücktheit neben sie platzierten.

Die Verrücktheit empfand ein bösartiges Gefühl, sich diesen Knaben holen zu wollen. Sie empfand sich selber wie einen schwarzen Engel mit Krallen. Als er daraufhin mit grösster Angst reagierte und anfing in die Knie zu gehen, wurde der Verrücktheit klar, dass er dadurch vernichtet würde. Jetzt wurde es der Verrücktheit möglich, sich zurückzuziehen und es entstand nun bei ihr der Wunsch, sich dem Mann (Urgrossvater) zuzuwenden, um sich mit ihm endlich auseinander zu setzen. Von all dem wollte die Urgrossmutter aber nach wie vor nichts wissen. Erst als die Verrücktheit die Urgrossmutter vom Sohn wegbat, und sie fest von hinten stützte, konnte die Urgrossmutter den Abstand vom Sohn aushalten.

Wir testeten sorgsam eine ganze Reihe möglicher Hypothesen zu dem kriminellen oder inzestuösen Familiengeheimnis, welches alles überlagerte. Auch der Urgrossvater zeigte sich dabei als erheblich verrückt, jedoch erwies es sich (zumindest für diesen Tag) als unmöglich, die Verwirrung durchschaubarer zu machen.

Was überragend im Mittelpunkt stehen blieb, war die grenzenlose Verrücktheit der Urgrossmutter. Sie fand nur dadurch Halt, dass sie von der Verrücktheit gestützt wurde.

Ich entschloss mich an dieser Stelle, den Einzelheiten des Familiengeheimnisses für heute nicht weiter nachzugehen, und bat Regina, nun mit Sina in gemässem Abstand vor die Urgrossmutter zu treten. Sina aber war mit friedlichen Mitteln nicht zu bewegen, ihren Platz zu verlassen und Regina auf diesem schweren Weg zu begleiten. Das war ja auch Reginas ureigenste Aufgabe, und es war nur richtig, das Pferd "aussen vor" zu lassen.

So stand denn schliesslich Regina alleine einige Meter vor der Urgrossmutter, die nach wie vor von der Verrücktheit gestützt werden musste. Ich liess Regina zur Urgrossmutter sagen:

"Ich beginne nun, Dein schweres Schicksal anzuschauen, und ich habe tiefe Achtung davor." Dies konnte sie mit ernsthafter Achtung und innerer Beteiligung sagen.

"Wenn ich dich anschaue, Urgrossmutter, ahne ich, warum ich keine Kinder bekommen habe", verlangte ihr ein langes Ringen mit den Tränen ab.

Als dann die Verrücktheit der Urgrossmutter freundlich auf Regina schaute und schliesslich zu ihr sagte: "Du brauchst keine Angst zu haben (dass es weitergeht)", entspannte das Pferd sich sichtlich, wie unsere Beobachterin vermerkte.

Die Stellvertreterin der verstorbenen Grosstante beobachtete zusammenfassend: "Der Kopf des Pferdes war zuerst starr. Erst später während der Aufstellung hat das Pferd von Zeit zu Zeit sanft den Kopf gewendet. Seine Augen wurden immer sanfter, weicher und wässeriger, fast so wie wenn es weinen würde. Es kam mir so vor, wie wenn eine grosse Last von ihm gefallen wäre. Ich lag ja auf dem Boden und konnte es von unten beobachten."

Nach einer längeren Weile konnte Regina die Urgrossmutter auch um deren Segen bitten, und die Urgrossmutter war in der Lage, den Segen zu geben. Allen Stellvertretern ging es anschliessend besser, wenn auch die ungeheure Last der nur nebelhaft zu erahnenden Familientragödie noch alle stark berührte.

Als Regina ihr Pferd in der Pause nach der Aufstellung aus der Reithalle führen wollte, war die Stute noch immer unbeweglich, wie wenn sie schlafen würde. Ich (SR) stand direkt neben ihr, und auf einmal ging mir auf, dass sie sich während der ganzen Aufstellung in einer tiefen Trance befunden hatte. Mit einigen Schnalzern und Fingerschnippen konnte ich sie wieder für die Jetztzeit interessieren, jedenfalls bewegten sich ihre Ohren wieder unmittelbar auf diese Reize, was während der ganzen Aufstellung nicht der Fall gewesen war.

Anschliessend wurde Sina von einer befreundeten Reiterin nach Hause geritten. Zuerst war sie noch etwas langsam und "schläfrig", ist dann aber rasch "aufgetaut" und war danach sogar sehr zufrieden.

Drei Tage nach dieser Aufstellung schrieb Regina:

"So langsam komme ich wieder im Alltag an ... immer wieder aber kommen Bilder und Szenen hoch ... Sina hat sich auch wieder aus ihrer "Erstarrung" gelöst und geniesst ihr Pferdeleben zusammen mit den anderen 20 Pferden auf der Weide!"

"Ich möchte gerne noch zwei Beobachtungen erzählen, die ich  während meiner eigenen Aufstellung gesehen habe. Am Anfang war ich ja noch "draussen" und konnte folgendes beobachten:

  • Als das tote Kind meiner Urgrossmutter sich auf den Boden legte, zog sich Sina total zusammen und streckte sich danach wieder.
  • Häufig, wenn etwas Wesentliches gesagt wurde, begann sie "abzukauen"

Beides sind Beobachtungen, die unabhängig von mehreren anderen Teilnehmenden bestätigt wurden.

 

"Ich schicke euch hier noch ein Bild von meiner Katze Anuinui, die im Moment zusammengerollt auf meinem Schoss liegt, eine meiner Hände als Kopfkissen benutzend.

 

Ich hatte doch so schöne hawaiianische Namen wie Maui, Aloha, Pele, Ipo und Keiki für meine jungen Kätzchen "parat", die dann nicht leben konnten."

Wir wünschen Regina, Sina und Anuinui, dass sie ihr Leben in Dankbarkeit und Achtung vor dem Schicksal der Urgrossmutter und Grosstante nun auch ohne eigene Kinder freudig und gemeinsam in die Hand nehmen können!